Montag, 7. Dezember 2015

Soziale Raumzeit



Rezension:
Weidenhaus, Gunter 

Soziale Raumzeit

2015
Berlin. Suhrkamp Verlag.         

 Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Konstitution von sozialer Zeit und  des sozialen Raumes? Sind zeitliche und räumliche Strukturen in unserem Leben miteinander verbunden? Und kann man dann von sozialer Raumzeit sprechen? Das sind die zentralen Fragen dieser  qualitativen Studie mit explorativem Charakter, die als Dissertation am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt entstanden ist.
Das räumliche Bestimmungen nicht unabhängig von den zeitlichen vorgenommen werden können, ist in der physisch-materiellen Welt seit der Einführung des Begriffs der vierdimensionalen Raumzeit in der Physik durch den Einstein-Lehrer Hermann Minkowsky (1864-1909) und der Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein unumstritten.
Raum und Zeit nun in ihrer sozialen Konstitution in einem Zusammenhang zu bringen und systematisch zu untersuchen, ist Ziel dieser empirischen Arbeit.
Ausgehend  theoretischer Vorüberlegungen zu verschiedenen Konzeptionen von Zeit und Raum und ihrer Verwendung in den Sozialwissenschaften, wird der theoretische Rahmen als Grundlage für eine 'empirische Suche' einer sozialen Raumzeit  definiert. Biographien bilden in dieser qualitativen Studie den spezifischen Gegenstandsbereich, denn "Im Prozess des Biographisierens wird sowohl eine geschichtliche Struktur als auch eine räumliche Struktur des eigenen Lebens konstitutiert." (S. 57), so der Autor. Anhand der Analyse des biografischen Datenmaterials beschreibt Weidenhaus jeweils drei Idealtypen biografischer Zeitkonstitutionen sowie drei Idealtypen von Raumkonstitutionen. Sowohl Zeit- und Raumtypen werden einer erneuten Analyse unterzogen, die zeigt, dass spezifische Typen der Konstitution von Geschichtlichkeit in Biografien mit einer spezifischen Konstitution  und Strukturierung von Lebensräumen einhergehen.  Idealtypisch werden der konzentrisch-lineare, der netzwerk-episodische und der inselhaft-zyklische Typ unterschieden.
Weidenhaus sieht es  als 'sinnvoll' an, 'von einer sozialen Raumzeit' auszugehen und verbleibt in seinen weiteren Überlegungen sowie der weiteren  Diskussion der Forschungsergebnisse nicht auf der Ebene biografischer Forschung, sondern begibt sich auf die makrosoziologische Ebene und wagt den Blick auf eine Verallgemeinerbarkeit eines soziologischen Konzeptes von sozialer Raumzeit.
Der Autor bietet anthropologische Erklärungen zur Notwendigkeit  gemeinsamer kultureller Produktion von Raum und Zeit an,  diskutiert die einzelnen biografischen Raumzeittypen unter Bezugnahme soziologischer Gegenwartsdiagnosen und zeigt Konflikte sowie Potenziale des jeweiligen Idealtypus in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft auf.
Auf dieser makrosoziologischen Ebene setzt sich Weidenhaus dann auch kritisch mit den gegenwärtigen sozialen Raum-Zeit-Bedingungen auseinander, etwa, wenn er den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen biografischen Raumzeitkonstitutionen und den Voraussetzungen für ein gelingendes Leben in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft diskutiert. Typspezifisch entstehen jeweils andere Raum-Zeitkonflikte, aber auch mögliche Potenziale, die genutzt werden könnten. In einer Gesellschaft, in der sich solch differenzierte biografische Raumzeitkonstitutionen ergeben, müssen entsprechend unterschiedliche, aber auch gleichberechtigte Lösungen angeboten werden. Räumlich und zeitlich flexible Arbeitsangebote mag beispielsweise der netzwerk-episodische Typ gutheißen, der konzentrisch-lineare Typ fühlt sich allerdings eher mit einer für ihn planbaren Erwerbs- und Wohnsituation wohl.
Insgesamt ist das Buch gut lesbar und die teils komplexen Zusammenhänge, die  beschrieben werden, sind für den Leser, auch durch zahlreiche Abbildungen nachvollziehbar.

Das Buch ist in der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft (stw) erschienen.

http://www.suhrkamp.de/buecher/soziale_raumzeit-gunter_weidenhaus_29738.html

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