Weidenhaus, Gunter
Soziale Raumzeit
2015
Berlin. Suhrkamp Verlag.
Gibt es einen Zusammenhang
zwischen der Konstitution von sozialer Zeit und
des sozialen Raumes? Sind zeitliche und räumliche Strukturen in unserem
Leben miteinander verbunden? Und kann man dann von sozialer Raumzeit sprechen?
Das sind die zentralen Fragen dieser
qualitativen Studie mit explorativem Charakter, die als Dissertation am
Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen
Universität Darmstadt entstanden ist.
Das räumliche Bestimmungen nicht
unabhängig von den zeitlichen vorgenommen werden können, ist in der
physisch-materiellen Welt seit der Einführung des Begriffs der vierdimensionalen Raumzeit in der Physik durch den Einstein-Lehrer Hermann Minkowsky
(1864-1909) und der Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein
unumstritten.
Raum und Zeit nun in ihrer sozialen Konstitution in einem Zusammenhang
zu bringen und systematisch zu untersuchen, ist Ziel dieser empirischen Arbeit.
Ausgehend theoretischer Vorüberlegungen zu verschiedenen
Konzeptionen von Zeit und Raum und ihrer Verwendung in den Sozialwissenschaften,
wird der theoretische Rahmen als Grundlage für eine 'empirische Suche' einer
sozialen Raumzeit definiert. Biographien
bilden in dieser qualitativen Studie den spezifischen Gegenstandsbereich, denn "Im Prozess des Biographisierens wird
sowohl eine geschichtliche Struktur als auch eine räumliche Struktur des
eigenen Lebens konstitutiert." (S. 57), so der Autor. Anhand der Analyse des biografischen
Datenmaterials beschreibt Weidenhaus jeweils drei Idealtypen biografischer
Zeitkonstitutionen sowie drei Idealtypen von Raumkonstitutionen. Sowohl Zeit-
und Raumtypen werden einer erneuten Analyse unterzogen, die zeigt, dass
spezifische Typen der Konstitution von Geschichtlichkeit in Biografien mit
einer spezifischen Konstitution und
Strukturierung von Lebensräumen einhergehen. Idealtypisch werden der konzentrisch-lineare,
der netzwerk-episodische und der inselhaft-zyklische Typ unterschieden.
Weidenhaus sieht es als 'sinnvoll'
an, 'von einer sozialen Raumzeit'
auszugehen und verbleibt in seinen weiteren Überlegungen sowie der
weiteren Diskussion der
Forschungsergebnisse nicht auf der Ebene biografischer Forschung, sondern
begibt sich auf die makrosoziologische Ebene und wagt den Blick auf eine
Verallgemeinerbarkeit eines soziologischen Konzeptes von sozialer Raumzeit.
Der Autor bietet anthropologische
Erklärungen zur Notwendigkeit
gemeinsamer kultureller Produktion von Raum und Zeit an, diskutiert die einzelnen biografischen
Raumzeittypen unter Bezugnahme soziologischer Gegenwartsdiagnosen und zeigt
Konflikte sowie Potenziale des jeweiligen Idealtypus in der postfordistischen
Arbeitsgesellschaft auf.
Auf dieser makrosoziologischen
Ebene setzt sich Weidenhaus dann auch kritisch mit den gegenwärtigen sozialen
Raum-Zeit-Bedingungen auseinander, etwa, wenn er den Zusammenhang zwischen
unterschiedlichen biografischen Raumzeitkonstitutionen und den Voraussetzungen
für ein gelingendes Leben in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft
diskutiert. Typspezifisch entstehen jeweils andere Raum-Zeitkonflikte, aber
auch mögliche Potenziale, die genutzt werden könnten. In einer Gesellschaft, in
der sich solch differenzierte biografische Raumzeitkonstitutionen ergeben,
müssen entsprechend unterschiedliche, aber auch gleichberechtigte Lösungen
angeboten werden. Räumlich und zeitlich flexible Arbeitsangebote mag beispielsweise
der netzwerk-episodische Typ gutheißen, der konzentrisch-lineare Typ fühlt sich
allerdings eher mit einer für ihn planbaren Erwerbs- und Wohnsituation wohl.
Insgesamt ist das Buch gut lesbar und die teils komplexen
Zusammenhänge, die beschrieben werden,
sind für den Leser, auch durch zahlreiche Abbildungen nachvollziehbar.
Das Buch ist in der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft (stw)
erschienen.
http://www.suhrkamp.de/buecher/soziale_raumzeit-gunter_weidenhaus_29738.html
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