Mittwoch, 9. Dezember 2015

Das Jetzt



 Es gibt nicht nur das eine Jetzt. Das Jetzt kann einmal schneller vergehen oder länger dauern, je nachdem was man gerade tut und auf was man seine Aufmerksamkeit lenkt. Meditation lenkt beispielsweise die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und Zeiterfahrung verlangsamt sich.

Mit der ständigen Smartphone-Nutzung verändert sich das Jetzt, es schrumpft auf einen kleinen Punkt zusammen und beschleunigt sich. Mediale Eigenzeit lässt das Gefühl für die eigene Zeit schrumpfen und zerstört den tief empfundenen und gelebten Moment.


"Und Jetzt alle!" -  Dieser interessante Artikel auf Zeit-Online Wissen, der auch in der Print-Ausgabe von Zeit Wissen 6/2015 erschienen ist, geht der Frage nach, was denn eigentlich das Jetzt ist und wie eine globalisierte und digitale Welt dieses Gefühl des Augenblicks verändert und, ob Achtsamkeitsmeditationen die Lösung gegen Beschleunigung sein können.


Link zum Artikel:
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2015/06/gegenwart-zeit-jetzt-forschung/komplettansicht

Montag, 7. Dezember 2015

Soziale Raumzeit



Rezension:
Weidenhaus, Gunter 

Soziale Raumzeit

2015
Berlin. Suhrkamp Verlag.         

 Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Konstitution von sozialer Zeit und  des sozialen Raumes? Sind zeitliche und räumliche Strukturen in unserem Leben miteinander verbunden? Und kann man dann von sozialer Raumzeit sprechen? Das sind die zentralen Fragen dieser  qualitativen Studie mit explorativem Charakter, die als Dissertation am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt entstanden ist.
Das räumliche Bestimmungen nicht unabhängig von den zeitlichen vorgenommen werden können, ist in der physisch-materiellen Welt seit der Einführung des Begriffs der vierdimensionalen Raumzeit in der Physik durch den Einstein-Lehrer Hermann Minkowsky (1864-1909) und der Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein unumstritten.
Raum und Zeit nun in ihrer sozialen Konstitution in einem Zusammenhang zu bringen und systematisch zu untersuchen, ist Ziel dieser empirischen Arbeit.
Ausgehend  theoretischer Vorüberlegungen zu verschiedenen Konzeptionen von Zeit und Raum und ihrer Verwendung in den Sozialwissenschaften, wird der theoretische Rahmen als Grundlage für eine 'empirische Suche' einer sozialen Raumzeit  definiert. Biographien bilden in dieser qualitativen Studie den spezifischen Gegenstandsbereich, denn "Im Prozess des Biographisierens wird sowohl eine geschichtliche Struktur als auch eine räumliche Struktur des eigenen Lebens konstitutiert." (S. 57), so der Autor. Anhand der Analyse des biografischen Datenmaterials beschreibt Weidenhaus jeweils drei Idealtypen biografischer Zeitkonstitutionen sowie drei Idealtypen von Raumkonstitutionen. Sowohl Zeit- und Raumtypen werden einer erneuten Analyse unterzogen, die zeigt, dass spezifische Typen der Konstitution von Geschichtlichkeit in Biografien mit einer spezifischen Konstitution  und Strukturierung von Lebensräumen einhergehen.  Idealtypisch werden der konzentrisch-lineare, der netzwerk-episodische und der inselhaft-zyklische Typ unterschieden.
Weidenhaus sieht es  als 'sinnvoll' an, 'von einer sozialen Raumzeit' auszugehen und verbleibt in seinen weiteren Überlegungen sowie der weiteren  Diskussion der Forschungsergebnisse nicht auf der Ebene biografischer Forschung, sondern begibt sich auf die makrosoziologische Ebene und wagt den Blick auf eine Verallgemeinerbarkeit eines soziologischen Konzeptes von sozialer Raumzeit.
Der Autor bietet anthropologische Erklärungen zur Notwendigkeit  gemeinsamer kultureller Produktion von Raum und Zeit an,  diskutiert die einzelnen biografischen Raumzeittypen unter Bezugnahme soziologischer Gegenwartsdiagnosen und zeigt Konflikte sowie Potenziale des jeweiligen Idealtypus in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft auf.
Auf dieser makrosoziologischen Ebene setzt sich Weidenhaus dann auch kritisch mit den gegenwärtigen sozialen Raum-Zeit-Bedingungen auseinander, etwa, wenn er den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen biografischen Raumzeitkonstitutionen und den Voraussetzungen für ein gelingendes Leben in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft diskutiert. Typspezifisch entstehen jeweils andere Raum-Zeitkonflikte, aber auch mögliche Potenziale, die genutzt werden könnten. In einer Gesellschaft, in der sich solch differenzierte biografische Raumzeitkonstitutionen ergeben, müssen entsprechend unterschiedliche, aber auch gleichberechtigte Lösungen angeboten werden. Räumlich und zeitlich flexible Arbeitsangebote mag beispielsweise der netzwerk-episodische Typ gutheißen, der konzentrisch-lineare Typ fühlt sich allerdings eher mit einer für ihn planbaren Erwerbs- und Wohnsituation wohl.
Insgesamt ist das Buch gut lesbar und die teils komplexen Zusammenhänge, die  beschrieben werden, sind für den Leser, auch durch zahlreiche Abbildungen nachvollziehbar.

Das Buch ist in der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft (stw) erschienen.

http://www.suhrkamp.de/buecher/soziale_raumzeit-gunter_weidenhaus_29738.html

Montag, 2. November 2015

Zeitpolitik



Zeitpolitik gewinnt in der öffentlichen Diskussion mehr und mehr an Bedeutung.  Bündnis 90/ Die Grünen sehen in der Zeitpolitik kein 'Rand- oder Nischenthema' mehr und veranstalteten im September dieses Jahres einen eigenen Zeitpolitikkongress. Wer mehr über Zeitpolitik wissen möchte, findet im Internet zwei aktuell erschienene Zeitschriften zum Thema:

Heinrich-Böll-Stiftung e.V. (Hrsg.) (2015): Sehnsucht nach Zeit.
Was Zeitpolitik tun kann. Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung. Ausgabe 2. 2015.
Kostenfreier Download bzw. Bestellung des Heftes:  https://www.boell.de/de/2015/09/22/sehnsucht-nach-zeit

Bündnis 90/ Die Grünen (2015): Raus aus dem Hamsterrad.
Grüne Ideen gegen den Dauerstress. Schrägstrich. Mitgliederzeitschrift von Bündnis 90/ Die Grünen. Ausgabe 2/2015. Kostenfreier Download: https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/20150624_Schraegstrich_02_15_Zeitpolitik.pdf

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Zeit und Sprache



Es gibt eine Gruppe von Sprachen, die „zukunftslos“ genannt werden, u.a. gehören die deutsche Sprache, Mandarin, Japanisch, Finnisch oder Schwedisch dazu.
In dieser Gruppe ist es grammatikalisch möglich  und richtig, auch in der Gegenwartsform über die Zukunft zu reden  (z.B. „Ich lese morgen ein Buch.“)
In einer anderen Gruppe (z.B. Englisch, Griechisch, Französisch, Italienisch oder Albanisch) von Sprachen ist es „Pflicht“ die Zukunftsform zu benutzen, wenn man sich sprachlich korrekt auf zukünftige Ereignisse beziehen möchte (z.B. „Ich werde morgen ein Buch lesen“).
In Experimenten wurde untersucht, wie sich dieser Sprachgebrauch in Hinsicht auf zukünftiges Verhalten auswirkt. Zukunftsorientiertes Verhalten erfordert Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen, was mit ‚Geduld haben‘ in Verbindung gesetzt wird und generell mit einer gesünderen Lebensweise und mit Erfolg im Leben einhergeht (vgl. Sutter 2014).
Chen stellte die Hypothese auf, dass in „zukunftslosen“ Sprachen die Zukunft näher an die Gegenwart heranrückt, dass heißt als zeitlich näher wahrgenommen wird. Das erleichtert das Warten auf die Ereignisse in der Zukunft und es fällt leichter heute auf etwas zu verzichten, um morgen gesünder, erfolgreicher zu sein oder mehr zu haben.
Wird die Zukunft sprachlich von der Gegenwart weggerückt, dann entfernt sich auch die Zukunft gedanklich weiter von der Gegenwart und sie wird als unsicherer wahrgenommen. Wenn etwas in der Zukunft als unsicherer gilt, dann ist es auch weniger attraktiv darauf zu warten oder hinzuarbeiten, und es werden weniger zukunftsorientierte Handlungen gewählt. Damit hat die Grammatik einer Sprache Einfluss auf die Entscheidungen und das Verhalten, bei denen  ein Abwägen zwischen einem Nutzen in der Gegenwart oder der Zukunft notwendig ist.
Basierend auf Daten einer fast weltweit durchgeführten Studie stellte Chen fest, dass Menschen, die eine zukunftslose Sprache sprechen, häufiger Geld sparen, als die der anderen Sprachgruppe. Für europäische Länder stellte Chen fest, dass die erstere Gruppe auch gesünder lebt.
Einwände gegen diese Erkenntnisse von Chan gibt es dahingehend, dass nicht die Sprache die Entscheidungen und das Verhalten beeinflusse, sondern mehr die Kultur, in der die Sprache nur ein Bestandteil ist.
Matthias Sutter hat in einer Untersuchung versucht, diese  kulturellen Unterschiede einzugrenzen, in dem er Grundschulkinder ein und derselben Stadt (Meran) untersucht hat. Hier wird fast zu gleichen Anteilen Deutsch und Italienisch gesprochen, die Menschen sind aber der gleichen Kultur ausgesetzt. Damit zeigte er, dass die Sprache zwar ein Teil der Kultur ist, diese aber Einfluss auf zukünftiges Verhalten (Geduld) haben kann.


Literaturhinweise:

Oaten Megan, Cheng Ken (2006): Improved self-control: The benefits of a regular program of academic study. In: Basic and Applied Social Psychology. Vol. 28. S. 1-16.

Oaten Megan, Cheng Ken (2007): Improvements in self-control from financial monitoring. In: Journal of Economic Psychology. Vol. 28. S. 487-501.

Sutter, Matthias (2014): Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent. Salzburg.