Donnerstag, 15. Oktober 2015

Zeit und Sprache



Es gibt eine Gruppe von Sprachen, die „zukunftslos“ genannt werden, u.a. gehören die deutsche Sprache, Mandarin, Japanisch, Finnisch oder Schwedisch dazu.
In dieser Gruppe ist es grammatikalisch möglich  und richtig, auch in der Gegenwartsform über die Zukunft zu reden  (z.B. „Ich lese morgen ein Buch.“)
In einer anderen Gruppe (z.B. Englisch, Griechisch, Französisch, Italienisch oder Albanisch) von Sprachen ist es „Pflicht“ die Zukunftsform zu benutzen, wenn man sich sprachlich korrekt auf zukünftige Ereignisse beziehen möchte (z.B. „Ich werde morgen ein Buch lesen“).
In Experimenten wurde untersucht, wie sich dieser Sprachgebrauch in Hinsicht auf zukünftiges Verhalten auswirkt. Zukunftsorientiertes Verhalten erfordert Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen, was mit ‚Geduld haben‘ in Verbindung gesetzt wird und generell mit einer gesünderen Lebensweise und mit Erfolg im Leben einhergeht (vgl. Sutter 2014).
Chen stellte die Hypothese auf, dass in „zukunftslosen“ Sprachen die Zukunft näher an die Gegenwart heranrückt, dass heißt als zeitlich näher wahrgenommen wird. Das erleichtert das Warten auf die Ereignisse in der Zukunft und es fällt leichter heute auf etwas zu verzichten, um morgen gesünder, erfolgreicher zu sein oder mehr zu haben.
Wird die Zukunft sprachlich von der Gegenwart weggerückt, dann entfernt sich auch die Zukunft gedanklich weiter von der Gegenwart und sie wird als unsicherer wahrgenommen. Wenn etwas in der Zukunft als unsicherer gilt, dann ist es auch weniger attraktiv darauf zu warten oder hinzuarbeiten, und es werden weniger zukunftsorientierte Handlungen gewählt. Damit hat die Grammatik einer Sprache Einfluss auf die Entscheidungen und das Verhalten, bei denen  ein Abwägen zwischen einem Nutzen in der Gegenwart oder der Zukunft notwendig ist.
Basierend auf Daten einer fast weltweit durchgeführten Studie stellte Chen fest, dass Menschen, die eine zukunftslose Sprache sprechen, häufiger Geld sparen, als die der anderen Sprachgruppe. Für europäische Länder stellte Chen fest, dass die erstere Gruppe auch gesünder lebt.
Einwände gegen diese Erkenntnisse von Chan gibt es dahingehend, dass nicht die Sprache die Entscheidungen und das Verhalten beeinflusse, sondern mehr die Kultur, in der die Sprache nur ein Bestandteil ist.
Matthias Sutter hat in einer Untersuchung versucht, diese  kulturellen Unterschiede einzugrenzen, in dem er Grundschulkinder ein und derselben Stadt (Meran) untersucht hat. Hier wird fast zu gleichen Anteilen Deutsch und Italienisch gesprochen, die Menschen sind aber der gleichen Kultur ausgesetzt. Damit zeigte er, dass die Sprache zwar ein Teil der Kultur ist, diese aber Einfluss auf zukünftiges Verhalten (Geduld) haben kann.


Literaturhinweise:

Oaten Megan, Cheng Ken (2006): Improved self-control: The benefits of a regular program of academic study. In: Basic and Applied Social Psychology. Vol. 28. S. 1-16.

Oaten Megan, Cheng Ken (2007): Improvements in self-control from financial monitoring. In: Journal of Economic Psychology. Vol. 28. S. 487-501.

Sutter, Matthias (2014): Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent. Salzburg.


Freitag, 9. Oktober 2015

Resonanz/ Resonanzerfahrung (Hartmut Rosa)



In seinem Buch: Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne analysiert Rosa (2005) die modernen/ spätmodernen Zeitstrukturen, die vor allem durch soziale Beschleunigungsprozesse geprägt sind. Diese bringen nach Rosa eine neue Form sozialer Entfremdung hervor und stehen dem eines ‚Guten Lebens‘ entgegen (Rosa 2013). Rosa übt vor allem Kritik an den spätmodernen Zeitverhältnissen, die durch Beschleunigung, Zeitdruck, ständige Unterbrechungen und Leistungsdruck gekennzeichnet und mit Burnout- sowie Stresserfahrungen verbunden sind. Diese stellen sich nach Rosa als ungünstige Bedingungen für Resonanzerfahrungen in den Beziehungen zur Welt dar.

Resonanz als Begriff in der Physik  bedeutet „mitklingen“ oder ‚mitschwingen‘ in einem ‚schwingungsfähigen System‘.  Rosa bezieht diesen Begriff der  Resonanz  auf eine authentische Weltbeziehung: „Gelingende Weltbeziehungen sind solche, in denen die Welt den Handelnden Subjekten als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Momenten auch wohlwollendes, entgegenkommendes oder »gütiges«  »Resonanzsystem« erscheint.“ (Rosa 2013:9); was so etwas, wie auf einer Wellenlänge schwingen, mit dem, was den Menschen umgibt - ähnlich dem des physikalischen Begriffs – heißt.  

Weltbeziehungen definieren, das In-die-Welt-gestellt-Sein des Menschen im passiven wie im aktiven Sinne (vgl. Rosa 2013:7). Der Mensch erfährt einerseits die Welt – als subjektive, objektive und soziale - in der er lebt und andererseits greift er aktiv durch sein Handeln in sie ein.

Resonanz definiert das Gefühl, dass der Mensch in diesem Weltverhältnis hat,  wenn er mit sich selbst, mit Anderen,  mit Objekten oder der Natur in so etwas wie einer guten Verbindung,  im Einklang steht. Es ist das Gefühl des Authentisch- und des Lebendig-Seins. Authentisch und lebendig ist ein Mensch vor allem dann, wenn er sein kann, wie er ist.

Resonanz bedeutet Anerkennung von Anderen, Sinnvolles  zu tun  und erreichen zu können und  sich dabei als selbstwirksam zu erleben. Es bedeutet Kontakt mit Anderen, in diesen sich vom Anderen akzeptiert zu fühlen, sich in den Anderen hineinversetzen zu können und Antworten zu bekommen. Resonanz kann in allen Bereichen, wie u.a. bei der  Arbeit, in Kunst, Natur und Religion oder auch in der Familie gespürt werden.

Allerdings müssen entsprechende Rahmenbedingungen vorhanden sein. Nach  Rosa braucht es vor allem Zeit und eine ungestörte Handlungs-Situation, um Resonanz zu erfahren.

Resonanzerfahrungen sind etwas sehr Individuelles, nicht jeder spürt in derselben Situation  die gleiche Resonanz, wie der Andere. Es kommt immer darauf, wie sehr sie ihn auch emotional berührt. Resonanzerfahrungen zeigen sich als  identitätsstiftend und berühren das Handeln, Denken sowie das Emotionale des Individuums.

Begriffe wie Empathie, das  Gefühl von Selbstwirksamkeit oder  das des Flow-Erlebens  stehen dem der Resonanz sehr nahe.

Rosa sieht ausreichend Resonanzerfahrungen als Grundlage für ein gelingendes Leben an und bringt sich damit mit ihrem Bezug zur Zeit in die hochaktuelle Zeitwohlstandsdebatte wie in die Diskussionen um ein ‚Gutes Leben‘ ein.

In seinem neuen Buch: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, das Anfang 2016 erscheinen wird, diskutiert Rosa stabile Resonanzverhältnisse in den Beziehungen zur Welt als Lösung zur sozialen Beschleunigung und stellt den Rahmen einer neuen Theorie vor. Hoffen wir, das Rosa konkrete Lösungen auf die Zeitprobleme von heute Lösungen anbieten kann.


Literaturhinweise:

Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt/M.

Rosa, Hartmut (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Berlin.

Rosa, Hartmut (2013): Beschleunigung und Entfremdung. Berlin.

Rosa, Hartmut (2014): Resonanz statt Entfremdung: Zehn Thesen wider die Steigerungslogik der Moderne. In: Konzeptwerk Neue Ökonomie (Hrsg.): Zeitwohlstand. Wie wir anders arbeiten, nachhaltig wirtschaften und besser leben. München. S.  63-72.

Rosa, Hartmut (2016):  Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin. (erscheint im März 2016).

Schnabel, Ulrich (2014): „Hier kann ich ganz sein, wie ich bin“. Warum wir am glücklichsten sind, wenn wir mir anderen mitschwingen können. Ein Gespräch mit Hartmut Rosa. Im Internet: http:www.zeit.de/2014/34/hartmut-rosa-ich-gefühl

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Zeit - „Gierige Institutionen“ und Soziale Netzwerke



Nach Coser (2015) haben sich mit der Moderne Organisationen bzw. Institutionen als soziale Einheiten herausgebildet, deren Ziel es ist, das ganze Individuum zu  vereinnahmen.  Mit zunehmender Differenzierung und Komplexität in einer Gesellschaft  ist der Einzelne in vielen verschiedenen sozialen Netzwerken mit unterschiedlichen Rollen eingebunden und somit müssen organisierte Gruppen um ihre Mitglieder konkurrieren, um sie ganz für sich zu gewinnen und für ihre Zwecke nutzen zu können.  
Insbesondere Zeit ist in einer von Zeitnot geprägten Gesellschaft eine sehr knappe Ressource. Deshalb wollen „gierige Institutionen“ so viel Zeit wie möglich im Alltag der Individuen  beanspruchen. Denn: „Der Kampf um die Aneignung der Zeit und psychischer Energie ist genauso eine Wurzel des sozialen Lebens wie der Wettbewerb um knappe Ressourcen in ökonomischen  Belange.“ (Coser 2015: 11)
Zeitkonflikte gibt es solange nicht, solange es möglich ist, die einzelnen sozialen Bereiche gut auszubalancieren und keiner in den anderen vordringt. Ist beispielsweise Arbeitszeit durch Arbeitszeitgesetze genau begrenzt, ermöglicht es dem Einzelnen die verbliebene Zeit außerhalb der Arbeitszeit, mit seiner Familie, mit seinen Freunden, Hobbys etc. zu verbringen. Mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit beispielsweise durch ständige Erreichbarkeit oder als ‚Arbeitender Kunde‘ dringt die Arbeitswelt mehr und mehr in das private Leben hinein und vereinnahmt die gesamte Persönlichkeit zum Zwecke der Gewinnmaximierung von Unternehmen.
‚Gierige Institutionen‘ beruhen dabei auf freiwilliger ‚Mitgliedschaft‘ und werden nicht etwa durch äußere Zwänge zusammengehalten. Individuen entscheiden sich aus freien Stücken zu ‚Gehorsam‘ und ‚Engagement‘ in der Gruppe. Obwohl sie keinen Zwang benötigen, um den Einzelnen zu gewinnen, üben diese Organisationen eine große Macht aus.
Soziale Netzwerke, wie Facebook , Whatsapp  & Co zählen zu diesen ‚gierigen Institutionen‘ , vereinnahmen uns und unsere Alltagszeit und kontrollieren uns/sie komplett, um höchstmögliche ökonomische und persönliche-Daten-Gewinne zu erzielen. Sie instrumentalisieren  private soziale Beziehungen für sich und ihren Zweck.
Mitglieder sozialer Netzwerke haben sich freiwillig auf diesen angemeldet, denn sie sind hoch attraktiv.  Mit Hilfe sozialer Netzwerke können sie sich mit anderen virtuell auf schnellem Wege, jederzeit und raumübergreifend austauschen und sie fühlen sich mit den Anderen und mit ihrem Netzwerk verbunden.  Wer nicht in den sozialen Netzwerken dabei ist, wird schnell ausgegrenzt, denn es machen ja schon die meisten mit. Sich Online darzustellen und seine Identität zu formen, wird zur Pflicht. Soziale Netzwerke haben einen ‚gierigen Charakter‘, sie wollen Daten aus allen Bereichen des privaten Lebens, um sie möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Nutzer werden zu ‚Datenlieferanten‘ für den Internet-Markt. Dazu ist es notwendig möglichst viele und vor allem jederzeit und von jedem Ort aus Daten zu liefern.
Im ‚freiwilligen Engagement und Gehorsam‘ der Mitglieder sozialer Netzwerke bilden sich bestimmte Formen des Zeitgebrauches im Alltag heraus. Dazu gehören:

  • ständige Erreichbarkeit, Eindringen in alle Lebensbereiche
  • Erwartungshaltung einer schnellen Antwort,
  • damit verbunden ist eine generelle Ungeduld,
  • ständige Unterbrechungen bei anderen Handlungen/ anderen Lebensbereichen im Alltag,
  • ein möglichst schneller Konsum,

was vor allem diesen ‚gierigen‘ Unternehmen dient. Schon deshalb, weil sie den Einzelnen auf diese Weise rund um die Uhr vereinnahmen und ihnen keiner entrinnen kann, sind sie zu den Mächtigsten der Welt aufgestiegen.

Literaturhinweise:
Coser, Lewis A. (2015): Gierige Institutionen. Berlin.
De Campo, Marianne Egger (2014): Neue Medien – alte Greedy Institutions. In: Leviathan. 42. Jg., 1/2014. S. 7-28. http://www.leviathan.nomos.de/fileadmin/leviathan/doc/Aufsatz_Leviathan_14_01.pdf
DGfZP (2014):  Privat kommunizieren – digital vernetzt. Zeitpolitisches Magazin Nr. 25.  Jg. 11. www.zeitpolitik.de