Digitale Musik im WWW zeichnet sich dadurch aus, dass sie jederzeit,
überall und unbegrenzt zur Verfügung steht. Durch ihre "totale Verfügbarkeit" können Nutzer von
Musikstreamingdiensten alle Lieder hören, die es weltweit gibt. Aber damit ist
Musik zur Beliebigkeit geworden, die kaum mehr mit Bedeutung aufgeladen wird. Musik
dient als hektische "Hintergrundberieselung",
zur Überbrückung von unliebsamen Wartezeiten und führt zum Verlust von
Langeweile. Digitale Musik ist ein Medium der Beschleunigung und Verdichtung
von Alltagszeit - die einer 24/7 Gesellschaft.
Digitaler Musikkonsum
über das Internet hat zudem die totale Kontrolle über den Nutzer und seine
Alltagszeit übernommen. Streamingdienste, wie z.B. Spotify wissen ganz genau zu
welchen Zeiten, sich Nutzer welche Songs anhören, sie wissen wo sie sind, was und
wie schnell sie was gerade tun. Sie kennen die alltäglichen Gewohnheiten ihrer
Hörer. Dieser trifft keine
selbstkontrollierte Entscheidung mehr über die von ihm gehörte Musik, sondern
große Internetfirmen, mathematische Algorithmen; Musik dient vor allem der
schnellen und größtmöglichen Gewinne des Marktes. Streamingdienste benötigen
keine Herstellungszeit, etwa wie für CD's oder DVD's, da Musik aus dem Internet
ihre Materialität verloren hat.
Die 'gute alte
Schallplatte' ist ein Relikt analoger Zeiten, in denen man an digitaler Musik
noch nicht einmal gedacht hat und doch erfreut sie sich
zunehmender Beliebtheit. 2014 wurden in Deutschland 1,8 Millionen
Stück verkauft, ca. 30 % mehr als im Jahr davor. Weltweit stieg der Absatz von
Vinylplatten sogar um mehr als 50 %. Schallplatten müssen hergestellt werden
und die Herstellung einer Platte dauert 30 Sekunden (zum Vergleich: eine CD - 3
Sek.) [2].
Schallplatten kann man nicht unbegrenzt horten, wie hunderttausende
von Musiktiteln auf der virtuellen Cloud. Sie benötigen realen Raum, denn sie
ist etwas ganz Konkretes. Sie sind keine Musik 'to go', die man sich überall
und jederzeit eben mal schnell und nebenbei anhört.
Bevor man sie sich anhören möchte, muss die Schallplatte aus der Hülle
genommen, aufgelegt und abgebürstet werden, um dann die Nadel aufsetzen zu
können. "... das Kaufen und Auflegen
von Schallplatten [wird] zu einem Ritual, für das man sich Zeit nehmen muss und
Expertise braucht." [2: 115]
Ihre typischen Geräusche des Knacksens und Knisterns haben etwas Nostalgisches
vergangener Zeiten an sich und liefern ein besonderes Klangergebnis. Musik wird
zum Genuss oder zu einer kreativen Auszeit, für die man sich bewusst Zeit
nimmt. Diese Zeit ist Zeit für sich selbst (eventuell auch Zeit realer Anwesender),
die nicht von großen globalen Industriefirmen so ganz nebenbei digital überwacht
und kontrolliert wird.
Und eine Vinyl-Platte ist wahrscheinlich ewig haltbar.
"Wo der Alltag digital
wird, wächst die Sehnsucht nach analoger Qualität" [3] - wie zum Beispiel
die Nachfrage nach Schallplatten - als Ausdruck des individuellen Bedürfnisses
nach Entschleunigung; als Ausgleich zum digitalen Alltag, der von
Beschleunigung, ständiger Erreichbarkeit, Überforderung und Überwachung geprägt
ist. „Immer mehr Menschen suchen einen
natürlichen Lebensstil, sie wollen das Leben besser genießen.“ ... „Und ein
Teil der Leute will, wenn sie Musik hören, mehr Gefühl damit verbinden“. [4]
Literatur:
[1] Oehmke, Philipp (2016): 30
Millionen Lieder. In: Der Spiegel. Nr. 1/ 2016. S. 109-116.
[2] Skrobala, Jurek (2016): Endlosrille.
In: Der Spiegel. Nr. 1/2106. S. 114-115.
[3] Turi, Peter (2016): Wo der
Alltag digital wird, wächst die Sehnsucht nach analoger Qualität. In:
Print. Ein Plädoyer für Slow Media. S. 7.
[4]http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/musik-auf-vinyl-die-rueckkehr-der-schallplatte/12301614.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen