Mittwoch, 7. Oktober 2015

Zeit - „Gierige Institutionen“ und Soziale Netzwerke



Nach Coser (2015) haben sich mit der Moderne Organisationen bzw. Institutionen als soziale Einheiten herausgebildet, deren Ziel es ist, das ganze Individuum zu  vereinnahmen.  Mit zunehmender Differenzierung und Komplexität in einer Gesellschaft  ist der Einzelne in vielen verschiedenen sozialen Netzwerken mit unterschiedlichen Rollen eingebunden und somit müssen organisierte Gruppen um ihre Mitglieder konkurrieren, um sie ganz für sich zu gewinnen und für ihre Zwecke nutzen zu können.  
Insbesondere Zeit ist in einer von Zeitnot geprägten Gesellschaft eine sehr knappe Ressource. Deshalb wollen „gierige Institutionen“ so viel Zeit wie möglich im Alltag der Individuen  beanspruchen. Denn: „Der Kampf um die Aneignung der Zeit und psychischer Energie ist genauso eine Wurzel des sozialen Lebens wie der Wettbewerb um knappe Ressourcen in ökonomischen  Belange.“ (Coser 2015: 11)
Zeitkonflikte gibt es solange nicht, solange es möglich ist, die einzelnen sozialen Bereiche gut auszubalancieren und keiner in den anderen vordringt. Ist beispielsweise Arbeitszeit durch Arbeitszeitgesetze genau begrenzt, ermöglicht es dem Einzelnen die verbliebene Zeit außerhalb der Arbeitszeit, mit seiner Familie, mit seinen Freunden, Hobbys etc. zu verbringen. Mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit beispielsweise durch ständige Erreichbarkeit oder als ‚Arbeitender Kunde‘ dringt die Arbeitswelt mehr und mehr in das private Leben hinein und vereinnahmt die gesamte Persönlichkeit zum Zwecke der Gewinnmaximierung von Unternehmen.
‚Gierige Institutionen‘ beruhen dabei auf freiwilliger ‚Mitgliedschaft‘ und werden nicht etwa durch äußere Zwänge zusammengehalten. Individuen entscheiden sich aus freien Stücken zu ‚Gehorsam‘ und ‚Engagement‘ in der Gruppe. Obwohl sie keinen Zwang benötigen, um den Einzelnen zu gewinnen, üben diese Organisationen eine große Macht aus.
Soziale Netzwerke, wie Facebook , Whatsapp  & Co zählen zu diesen ‚gierigen Institutionen‘ , vereinnahmen uns und unsere Alltagszeit und kontrollieren uns/sie komplett, um höchstmögliche ökonomische und persönliche-Daten-Gewinne zu erzielen. Sie instrumentalisieren  private soziale Beziehungen für sich und ihren Zweck.
Mitglieder sozialer Netzwerke haben sich freiwillig auf diesen angemeldet, denn sie sind hoch attraktiv.  Mit Hilfe sozialer Netzwerke können sie sich mit anderen virtuell auf schnellem Wege, jederzeit und raumübergreifend austauschen und sie fühlen sich mit den Anderen und mit ihrem Netzwerk verbunden.  Wer nicht in den sozialen Netzwerken dabei ist, wird schnell ausgegrenzt, denn es machen ja schon die meisten mit. Sich Online darzustellen und seine Identität zu formen, wird zur Pflicht. Soziale Netzwerke haben einen ‚gierigen Charakter‘, sie wollen Daten aus allen Bereichen des privaten Lebens, um sie möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Nutzer werden zu ‚Datenlieferanten‘ für den Internet-Markt. Dazu ist es notwendig möglichst viele und vor allem jederzeit und von jedem Ort aus Daten zu liefern.
Im ‚freiwilligen Engagement und Gehorsam‘ der Mitglieder sozialer Netzwerke bilden sich bestimmte Formen des Zeitgebrauches im Alltag heraus. Dazu gehören:

  • ständige Erreichbarkeit, Eindringen in alle Lebensbereiche
  • Erwartungshaltung einer schnellen Antwort,
  • damit verbunden ist eine generelle Ungeduld,
  • ständige Unterbrechungen bei anderen Handlungen/ anderen Lebensbereichen im Alltag,
  • ein möglichst schneller Konsum,

was vor allem diesen ‚gierigen‘ Unternehmen dient. Schon deshalb, weil sie den Einzelnen auf diese Weise rund um die Uhr vereinnahmen und ihnen keiner entrinnen kann, sind sie zu den Mächtigsten der Welt aufgestiegen.

Literaturhinweise:
Coser, Lewis A. (2015): Gierige Institutionen. Berlin.
De Campo, Marianne Egger (2014): Neue Medien – alte Greedy Institutions. In: Leviathan. 42. Jg., 1/2014. S. 7-28. http://www.leviathan.nomos.de/fileadmin/leviathan/doc/Aufsatz_Leviathan_14_01.pdf
DGfZP (2014):  Privat kommunizieren – digital vernetzt. Zeitpolitisches Magazin Nr. 25.  Jg. 11. www.zeitpolitik.de

1 Kommentar:

  1. Gut, pointiert und in prägnanter Kürze "gierige Institutionen" skizziert: wel done.

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